Ständig in Bewegung, immer beschäftigt und Entspannung fühlt sich wie Zeitverschwendung an? Dann leidest du vielleicht am Border-Collie-Syndrom. Dieses Phänomen betrifft immer mehr Menschen in unserer leistungsorientierten Gesellschaft – und kann langfristig ernste Folgen haben.
Was ist das Border-Collie-Syndrom?
Der Begriff Border-Collie-Syndrom ist an die gleichnamige Hunderasse angelehnt: Border Collies sind hochintelligente Arbeitshunde, die quasi dafür gezüchtet wurden, ständig beschäftigt zu sein und Aufgaben zu erledigen. Ohne klare Aufgaben werden sie unruhig, frustriert und entwickeln oft problematische Verhaltensweisen. Genau diese Dynamik lässt sich auch bei vielen Menschen beobachten – besonders in einer Welt, die Produktivität über alles stellt und in der „busy sein“ als Statussymbol gilt. Das Border-Collie-Syndrom beschreibt also einen psychologischen Zustand, bei dem Menschen ein zwanghaftes Bedürfnis nach ständiger Aktivität und Produktivität entwickeln.
Kommt dir das alles ziemlich bekannt vor? Folgende Anzeichen können ein Hinweis sein, dass du am Border-Collie-Syndrom leidest:
#1
Du kannst nicht stillsitzen
Menschen mit Border-Collie-Syndrom finden es nahezu unmöglich, einfach nur zu entspannen. Die Idee, einen ganzen Tag lang „nichts“ zu tun, erscheint dir wie ein Ding der Unmöglichkeit. Selbst in Momenten der vermeintlichen Ruhe, zum Beispiel beim Fernsehen, erledigst du nebenbei andere Aufgaben oder scrollst durch dein Smartphone. Du checkst ständig Nachrichten und E-Mails, auch am Wochenende, und fühlst eine unterschwellige Unruhe, wenn du „nur“ dasitzt.
#2
Du erträgst keine Ruhe
Stille und Ruhe lösen in dir ein negatives Gefühl aus. Wenn du allein mit deinen Gedanken bist, ohne Ablenkung durch Aktivitäten, Medien oder Gespräche, wirst du nervös und unruhig. Du greifst automatisch zum Smartphone, machst den Fernseher, Musik oder einen Podcast an oder suchst nach irgendeiner Beschäftigung, um die Stille zu füllen. Diese Unfähigkeit, Ruhe auszuhalten, ist oft ein Zeichen dafür, dass du unangenehmen Gedanken oder Gefühlen ausweichst, die in stillen Momenten auftauchen könnten.
#3
Du definierst deinen Wert über Leistung
Ein typisches Anzeichen des Border-Collie-Syndroms ist die tiefe Überzeugung, dass dein Wert als Mensch direkt mit deiner Produktivität verknüpft ist. Du fühlst dich nur dann gut und wertvoll, wenn du etwas „geschafft“ hast. Ruhephasen oder Freizeit ohne konkrete Ergebnisse erscheinen dir als Verschwendung, und du verspürst schnell ein schlechtes Gewissen, wenn du nicht „sinnvoll“ beschäftigt bist. Komplimente für deine Leistung bedeuten dir mehr als Anerkennung für andere Eigenschaften deiner Persönlichkeit.
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#4
Du überfüllst deinen Kalender systematisch
Der Gedanke an einen Tag ohne Pläne oder To-do-Liste löst in dir regelrechtes Unbehagen aus. Daher neigst du dazu, deinen Terminkalender bis zum Rand zu füllen – nicht nur mit beruflichen Verpflichtungen, auch deine Freizeit durchplanst du akribisch. Selbst Urlaub gestaltest du als durchgetaktetes Programm mit Aktivitäten und Ausflügen, sodass kaum Zeit zum wirklichen Abschalten bleibt. Deine Hobbys haben oft ebenfalls einen leistungsorientierten Charakter: Du joggst nicht einfach, sondern trainierst für einen Marathon. Du kochst nicht zum Spaß, sondern perfektionierst komplizierte Rezepte.
#5
Du bist stolz auf deinen stressigen Alltag
„Ich bin so busy“ ist für dich kein Klagelied, sondern ein Statussymbol. Du erzählst anderen mit einer gewissen Genugtuung, wie voll dein Terminkalender ist und wie wenig Zeit du hast. Überstunden und Wochenendarbeit betrachtest du insgeheim als Beweis deiner Unverzichtbarkeit und Leistungsfähigkeit. In Gesprächen merkst du, dass du oft in eine Art Wettbewerb trittst, wer am meisten zu tun hat oder am wenigsten schläft – und du willst dabei nicht als die „faule“ Person dastehen.
#6
Du ignorierst die Signale deines Körpers
Menschen mit Border-Collie-Syndrom überhören regelmäßig die Warnsignale ihres Körpers. Müdigkeit, Verspannungen oder Konzentrationsschwierigkeiten werden als Schwäche interpretiert und mit noch mehr Anstrengung oder einem zusätzlichen Kaffee bekämpft. Du verschiebst Pausen, arbeitest durch das Mittagessen und merkst oft erst am Abend, wie erschöpft du eigentlich bist. Wenn du krank wirst, betrachtest du das als ärgerliche Unterbrechung deiner Produktivität, nicht als notwendiges Signal deines Körpers, dass du eine Pause brauchst.
Welche Ursache hat das Border-Collie-Syndrom?
Betroffene können also nicht entspannen, ohne sich schuldig zu fühlen, definieren ihren Selbstwert über ihre Leistung und erleben regelrechte Entzugserscheinungen, wenn sie zur Ruhe kommen sollen. In unserer leistungsorientierten Gesellschaft wird dieses Verhalten oft nicht als problematisch erkannt, sondern sogar belohnt und als „Ehrgeiz“ positiv umgedeutet. Social Media verstärkt diesen Druck noch, indem es suggeriert, dass erfolgreiche Menschen ständig produktiv und aktiv sind. Dabei stecken hinter dem zwanghaften Beschäftigtsein oft tiefere psychologische Ursachen.
Das Border-Collie-Syndrom ist häufig eine ausgeklügelte Vermeidungsstrategie: Die ständige Beschäftigung dient als Ablenkung von unangenehmen Gefühlen, innerer Leere oder belastenden Gedanken. Indem wir pausenlos aktiv sind, müssen wir uns nicht mit Unsicherheiten, Ängsten oder unbequemen Fragen nach dem Sinn unseres Tuns auseinandersetzen. Ein weiterer Faktor ist das Selbstwertgefühl. Viele Menschen mit Border-Collie-Syndrom haben (oft unbewusst) die Überzeugung verinnerlicht, dass ihr Wert als Mensch direkt von ihrer Leistung abhängt.
Langfristig kann diese chronische Selbstüberforderung zu ernsthaften physischen und psychischen Gesundheitsproblemen wie Burnout, Angststörungen und Depression führen.
Was hilft gegen das Border-Collie-Syndrom?
Der Weg zu einem gesünderen Umgang mit Aktivität und Ruhe beginnt mit der Erkenntnis, dass dein Wert als Mensch nicht von deiner Leistung abhängt. Lerne, zwischen „produktiv sein“ und „beschäftigt sein“ zu unterscheiden. Oft sind wir nur beschäftigt, ohne wirklich etwas zu erreichen. Plane bewusst Zeit für Erholung ein – nicht als „vergeudete Zeit“, sondern als notwendige Investition in deine körperliche und geistige Gesundheit. Experimentiere mit Achtsamkeitsübungen und lerne, im gegenwärtigen Moment zu verweilen, ohne etwas leisten zu müssen.
Selbst der fleißigste Border ist Collie irgendwann erschöpft. Und auch du darfst und solltest Pausen machen, ohne dich dafür zu rechtfertigen. Der wichtigste Schritt ist jedoch, die eigentlichen Ursachen anzugehen: Arbeite an einem Selbstwertgefühl, das unabhängig von deiner Leistung besteht, und lerne, dich auch mit unangenehmen Emotionen auseinanderzusetzen, statt vor ihnen wegzulaufen. Eine therapeutische Begleitung kann dabei eine wertvolle Unterstützung bieten.